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Ebersdorfer Geschichtspfad

Lichtenauer Straße – Friedhof


Im Mittelalter verlagerte man die Bestattung in den Bereich der Kirchengebäude. Man lehnte die auf germanisch-keltischer Tradition beruhenden Gräberfelder wie auch die Feuerbestattung als heidnisch ab. Es wurde die Nähe zu den in den Kirchen aufbewahrten Reliquien angestrebt. Die Gläubigen wollten nun nach ihrem Tode so nah wie möglich bei den Gebeinen ihrer Heiligen begraben werden. Freilich lagen in den Dorfkirchen überwiegend keine Reliquien, dennoch wurden die Begräbnisstätten ins Siedelzentrum und damit unmittelbar in oder um die Kirchen gelegt. Durch die sakrale Nähe bereitete man den Weg zur Erlösung der Verstorbenen. Je näher am Altar, desto besser. Freilich war die Bestattung in der Kirche oder der Kirchengruft nur kirchlichen Würdenträgern, Patronatsherren und wohlhabenden Förderern vorbehalten. Alle anderen fanden im meist rings um die Kirche angelegten Friedhof ihre letzte Ruhestätte. So war es auch hier in Ebersdorf.

1874


Ab Ende 1874 wurde der Kirchhof nicht mehr als Gottesacker genutzt und in den Jahren 1887/88 im Zusammenhang mit der großen Kirchenrestaurierung eingeebnet. Bei Arbeiten in den 1960er Jahren habe man auch noch Überreste der Sterblichen aufgefunden und auf dem neu angelegten Stiftsfriedhof wiederbestattet.

1914

In Chemnitz-Ebersdorf bestand vom Dezember 1914 bis Februar 1921 eines von vier sächsischen und 175 deutschen Kriegsgefangenenlagern. Bei 23.098 Gefangenen zum 10. Oktober 1918 blieben Todesfälle, sei es aufgrund Unterernährung und fehlender Abwehrkräfte oder auch Typhus- und Grippewellen, nicht aus. Ihre Zahl wuchs auf 785 an; 614 Namen finden sich noch heute auf den überlieferten Platten. Die verstorbenen Kriegsgefangenen wurden zunächst in Einzelgräbern bestattet. Der Platz reichte jedoch schnell nicht mehr aus und man ging zu Sammelgräbern über. Hier ruhen Russen, Franzosen, Italiener, Serben, vier Briten, ein Belgier, ein deutscher Dolmetscher und ein Kanadier. Evangelisch, römisch-katholisch, griechisch-katholisch, muslimisch und ein Jude.



1916


Eine durch die Lagerleitung vorab autorisierte Sammlung durch die französischen Gefangenen machte es möglich, dass auf dem Friedhof ein Denkmal zum Andenken an die verstorbenen Kriegsgefangenen aufgestellt werden konnte. Die Einweihung erfolgte am Ostermontag, dem 24. April 1916, um halb zehn am Vormittag in „dem Ernste der Zeit angepaßter Weise“ unter Teilnahme von 250 Gefangenen aus den fünf Gefangenenkompanien und mehrerer deutscher Offiziere. Der Ostermontag wurde wohl vor dem Hintergrund der Wiederauferstehung ausgewählt. Der französische Adjutant Dessain dankte dem Lagerkommandanten Max Heinicke für die Genehmigung des Denkmals. Der extra vom Offiziersgefangenenlager Döbeln abgestellte russische Priester Jarotzki führte aus, dass durch das Denkmal das Andenken der Toten für alle Zeiten geehrt werden soll und weihte anschließend die Gräber nach russischem Brauch. Auch der französische Abbé Bach (Abbé ist ein Geistlicher) richtete Worte an die Anwesenden, bevor die Gräber auch nach römisch-katholischem Brauch geweiht wurden. Abschließend defilierten die Gefangenen kompanieweise mit militärischem Gruße am Denkmal vorbei.

Das aus Sandstein gefertigte, etwa 3,5 Tonnen schwere Mahnmal wurde vom Franzosen David Debrock, einem kriegsgefangenen Bildhauer aus Dünkirchen, geschaffen. Von Debrock ist kaum etwas bekannt. Geboren ist er offenbar am 30. November 1880 (oder 1878) in Steenvoorde. Am 1. Oktober 1903 ehelichte er die 1883 in Lille geborene Julia Catharine Grulois. Sie hatten offenbar eine im Jahre 1903 in Paris geborene Tochter Madeleine. Seine Eltern waren der 1855 geborene Léon Achille Debrock und die 1858 geborene Marie Julia Pattin. In den Jahren 1908 und 1913 nahm er an Ausstellungen teil, seine Katalogeinträge sind überliefert. Nicht mehr lange und der Krieg sollte beginnen; rasch kam er in Gefangenschaft und letztlich nach Ebersdorf. Möglicherweise wurde er für Arbeiten in den Wandererwerken eingesetzt und hatte Kontakt zum Schönauer Wintergarten. Dessen Besitzer schenkte er ein von ihm am 30. Januar 1916 datiertes Gemälde „Seestück“, welches noch heute im Familienbesitz ist. Nach seiner Heimkehr heiratete er am 24. September 1931 Marguerite Mélan. Dann verlieren sich seine Spuren.





Warum das Mahnmal 1916 geweiht wurde, aber die Jahreszahl 1918 trägt, konnte bislang nicht eindeutig geklärt werden. Es gibt Abbildungen, auf denen die letzte Zahl noch nicht ausgearbeitet ist. Vielleicht wurde das Denkmal erst 1918 durch die Ergänzung der beiden britischen und italienischen Steine beidseits des Mahnmals fertiggestellt. Sie tragen auch die Jahreszahl 1918.

Auffällig ist die Verwendung einer trauernden Frauenfigur als zentrales Motiv, was deutlich im Gegensatz  zum deutschen Gefallenengedenken mit seiner Heldenverehrung steht. Die weibliche Figur verkörpere „den Schmerz“. Andernorts liest man auch, sie verkörpere das trauernde Frankreich. Sie trägt zwar ein klagendes, jedoch kein schmerzverzerrtes Gesicht. Sie schwenkt die französische Trikolore, also die dreifarbige Landesfahne, welche bis zum Boden reicht.




Darunter folgen florale Ausbildungen, wir erkennen in ihnen eine Mohnkapsel und vier Mohnblüten. Seit der griechischen Antike gilt die Mohnkapsel als Symbol für den Gott des Traumes Morpheus, für die Göttin der Nacht Nyx, und für den Gott des Todes Thanatos.  Ab 1920, also deutlich nach der Erschaffung des hiesigen Denkmals, avancierte der (Klatsch)Mohn zum Symbol für das Gedenken an gefallene Soldaten des Ersten Weltkriegs. Auf den frisch aufgeschütteten Hügeln der Soldatengräber begann als erstes der Klatschmohn zu blühen.
Am Fuß hat Debrock ein schräg aufragendes Kreuz platziert, über dem ein Palmwedel liegt. Im Christen- und Judentum gilt der Palmwedel als Symbol des ewigen Lebens und der Auferstehung. Kreuz und Wedel stecken in einem Kranz. Der Trauerkranz steht als Kreis ohne Anfang und Ende symbolhaft für die Ewigkeit, als Zeichen für ein Leben nach dem Tod und für die Verbundenheit zwischen Hinterbliebenen und Verstorbenen über den irdischen Tod hinaus.

Offen war bislang die Frage, aus welchem Material der dargestellte Kranz bestehen soll. Der Autor geht davon aus, dass es sich um die Früchte der Eibe handelt. Der Eibenkranz (vermutlich derjenige aus Eibenreisig) sei ein Symbol der Hoffnung auf ein Weiterleben. Die Eibe steht in der Pflanzensymbolik unter anderem für den Tod. Auch wenn nach bisherigen Recherchen ein Eibenkranz aus dem Samenmantel der Eibe sehr selten  aufzuspüren war, so scheiden alle anderen Deutungsversuche wohl aus. Aufgrund der Symbolik und der deutlichen Darstellung ist der Eibenarillus die wahrscheinlichste Darstellung. Auf dem Friedhof Sankt Stephani im niedersächischen Helmstedt am Magdeburger Tor ist am Grabmal Döring ein solcher Kranz zu sehen. Auf einem Grab auf dem Alten Friedhof Bonn ist eine von Christian Warth entworfene und von Villeroy & Boch ab 1884 vertriebene Figur einer Trauernden zu sehen. Sie trägt einen Eibenkranz in der Rechten.

An der rechten Seite finden wir ein orthodoxes Kreuz und den Schriftzug "ХЕМНИЦКІЕ ВОЕННОПЛЪННЫЕ СВОИМЪ ТОВАРИЩАМЬ“, übersetzt bedeutet dies „(Die) Chemnitzer Kriegsgefangenen an ihre Kameraden“. Angesichts der deutlich höheren Anzahl an Russen im Lager und unter den Verstorbenen war ein rein französisches Ehrenmal nicht angebracht. Dies löste man offenbar mit dieser seitlich angebrachten nüchternen Botschaft.

Links vom Denkmal steht leicht schräg ein Gedenkstein für die italienischen Verstorbenen. Auf ihm lesen wir "Dio degli eserciti da pace ai fratelli defunti prigionieri Italiani andme delle Famiglie"; auf Deutsch übersetzt bedeutet dies "Gott der Heerscharen, gib den verstorbenen gefangenen italienischen Brüdern und den Familien Frieden".

Rechts vom Denkmal, ebenfalls leicht schräg, ein entsprechender Stein für die britischen Verstorbenen. Wir lesen „To the memory of British Prisoners of War who died at Chemnitz“, also „In Erinnerung an die britischen Kriegsgefangenen, die in Chemnitz starben.“

Die geschmiedeten Ketten schuf Robert Penet. Der zentrale Spruch „Pro Patria“ bedeutet „für das Vaterland“.

Insgesamt müssen wir uns vor Debrock verbeugen. Die saubere und fachmännische Ausführung des Werkes zeugt von einem versierten und begabten Meister seines Fachs. Er hat ein visuell ansehnliches und voller Symbolik strotzendes Mahnmal geschaffen, das in seiner Ausführung, Ausstrahlung und Aussage seinesgleichen sucht!

1920

Das Reichsvermögensamt hat die Gräberfelder umgearbeitet. Die mit Holzkreuzen versehenen Franzosengräber erhielten etwa efeuumrankte zierliche Steinplatten. Hunderte weitere, bislang „unvorgerichtet“ gebliebene Gräber wurden zusammengefasst und erhielten Steinplatten mit den Namen der Verstorbenen. Die linke Friedhofsseite wies nicht weniger als 51  solcher Platten auf.

1924

Im September 1924 wurden die Briten nach Berlin-Stahnsdorf umgebettet; im März 1926 brachte man die Franzosen nach Saarebourg im Department Moselle und April 1927 fanden die Italiener ihre letzte Ruhestätte ebenfalls in Stahnsdorf.

1925

Am hintersten Ende des Hauptweges thront ein weiteres Ehrenmal. Am 8. November 1925 weihten die Ebersdorfer Bürger ein imposantes Ehrenmal für im Ersten Weltkrieg gefallene Ebersdorfer. Initiator war der Militärverein Chemnitz-Ebersdorf. Es wurde aus Rochlitzer Porphyrtuff vom Steinmetz Metz gefertigt. Man gedachte der toten Kameraden umrahmt von musikalischer Begleitung sowie Reden des Pfarrers der Markuskirchgemeinde Mielsch und des Vorsitzenden des Ebersdorfer Militärvereins Endich. Anschließend erfolgten Kranzniederlegungen durch die anwesenden Repräsentanten diverser Vereine, wie z. B. des Deutschen Offiziersbundes, des Chemnitzer Militärvereins, des Gesangsvereins „Liederkranz“ sowie des Bürgerlichen Bezirksvereins Chemnitz-Ebersdorf. Anschließend zog die Gesellschaft zum Kommers in die Brettmühle.

Das Denkmal ist 7,50 Meter hoch, in Grundform eines Rondells tragen sechs Säulen einen Ring mit der Inschrift „Unseren Helden“ mit einem Eisernen Kreuz zwischen beiden Wörtern und auf der Rückseite die Jahreszahlen „1914–1918“. Zentral ragt eine Stele empor, welche vorn ein nach unten zeigendes Schwert zeigt und über dem Ring die Figur eines knienden Soldaten trägt. Zum Zeitpunkt der Einweihung war das Denkmal noch nicht fertig. Ein Foto des „Chemnitzer Tageblatts“ zum Artikel der Denkmalsweihe zeigt das noch fehlende Schwert und die Steintafeln waren noch leer. Kurz nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges wurden von Unbekannten die Hände und der Gewehrlauf abgeschlagen.

Erst 1928 setzte man die drei großen Tafeln - vermutlich aus Theumaer Schiefer - welche in goldenen Lettern an die 156 nicht mehr Heimgekehrten erinnern, in das Bauwerk ein.
Eine Namensplatte enthält fünf Löcher, die angesichts der massiven Ausführung der Platten nur durch einen Beschuss zu erklären sind. Es existieren drei Erklärungen dafür: a) Beim Einmarsch sowjetischer Soldaten könnte die Platte mit Handfeuerwaffen beschossen worden sein, b) sowjetische Soldaten haben aus der Ferne das Denkmal als Zielscheibe benutzt oder c) die Amerikaner feuerten von Auerswalde her Richtung Kirchturm, in dem man Scharfschützen vermutete oder d) das Denkmal wurde durch Querschläge beim allgemeinen Beschuss von Ebersdorf getroffen, beispielsweise als die Tännichtleite Ziel von Granaten wurde.



1964

1964 wurden sämtliche Grablegungen im Rahmen der Aktion „Sühnezeichen“ zu einer Gedenkstätte aufgewertet. Die Gräber lagen bis dahin links des Hauptweges und wurden auf die rechte Seite umgesetzt. Dabei wurden auch jeweils zwei Tafeln Rücken an Rücken zusammengestellt und durch Stahlklammern fixiert. Seitdem befindet sich der gesamte Gedenkkomplex direkt hinter der Aufbahrungshalle.

2011

Im Jahr 2011 wurde durch die Stiftskirchgemeinde Ebersdorf  eine weitere Gedenktafel für alle Opfer von Krieg, Terror und Gewalt am hinteren Denkmal angebracht.



2013

Die Gräberanlage wird durch die Bundesrepublik Deutschland durch eine jährliche Unterhaltspauschale finanziert, welche jedoch bei Weitem nicht kostendeckend ist. Ihren guten Zustand hat sie der Pflege durch die Kirchgemeinde zu verdanken.

Im Laufe der Zeit arbeiteten Wind und Wetter an den steinernen Zeugen. Das Denkmal setzte stark Moose an, ist aber in einem gesunden Zustand. Lediglich am Betonsockel waren Abplatzungen zu verzeichnen. Weitaus schlimmer war der Zustand der Doppelsteine. Die 1964 angebrachten Eisenklammern ließen keinerlei Spielraum zu, zwischen die Steine eingedrungene Feuchtigkeit ließ die Steine allmählich platzen. Eine Restaurierung wurde unumgänglich. Nachdem im Jahre 2011 ein erster Fördermittelantrag gestellt wurde, ging dann Mitte 2013 der Fördermittelbescheid bei der Denkmalschutzbehörde in Chemnitz ein. Die Firma Herberholz erhielt den Zuschlag und begann ab August, einzelne Steine abzutragen. Währen das Denkmal lediglich zu reinigen war, stand man bei den Betonsteinen vor einer völlig neuen Sanierungsmethode. Die Steine bestehen aus einem einfacheren Hinterbeton auf denen eine Schicht Marmorsplittbeton aufgetragen wurde. Beide Betonarten zeigen bei der Bearbeitung unterschiedliche Reaktionen. Zum Tag des Denkmals am 8. September 2013 wurde die Gräberanlage wieder der Öffentlichkeit übergeben, eine Informationstafel teilt seitdem wichtige Daten dazu mit.



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